Alltag - Was ist das?

25. bis 30. September 2017


Schon bei all meinen letzten Berichten habe ich überlegt, den Post “Alltag” zu nennen, denn solangsam hat sich doch ein Alltag bei mir eingependelt – doch dann schreibe ich den Post und mir fällt auf, dass doch wieder so viele extraordinäre Dinge passiert sind, dass “Alltag” nicht der richtige Titel wäre. So ist es auch bei dieser Woche und ich glaube, ich habe mich dafür nun daran gewöhnt, dass ich hier keinen Alltag haben werde.

In dieser Woche waren Eli und ich auf der Taufe von Ivolines Tochter Sarah eingeladen. Ivoline war vor einigen Jahren als Reverse-Freiwillige in Deutschland und hat bislang immer sehr aktiv die Freiwilligen hier begleitet, wir hatten sie zuvor leider nur einmal getroffen, weil sie mit dem Baby natürlich nicht mehr so viel Zeit hatte. Allerdings hat sie uns zur Taufe eingeladen und gebeten, viele Fotos zu machen, um sie unseren Vorgängerinnen, die sie gut kannten, schicken zu können. Die Taufe fand am Mittwoch statt und als ich bei der Arbeit nachfragte, ob ich an diesem Tag fehlen könnte, um dorthin zu fahren, erhielt ich als Antwort nur: “Du bist hier, um was zu erleben – viel Spaß morgen!”

So kam es also, dass wir Mittwochmorgen um kurz nach 5 noch im Dunkeln das Haus verließen und uns auf den Weg nach Mbiame, dem Dorf, in dem Ivoline lebt, machten. Flora, die eine gute Freundin von Ivoline ist, begleitete uns und zu viert auf einem Bike sitzend, auf das in Deutschland definitiv nicht mehr als zwei Leute gepasst hätten, meisterten wir die Fahrt ins Dorf, die etwas über eine Stunde dauerte. Die Taufe fand direkt in Ivolines Haus statt, wobei das Weihwasser einfach aus einem alten Plastikeimer geschöpft wurde und der Pfarrer nebenbei auf dem zum Altar umfunktionierten Tisch sein Handy lud. Eine interessante Erfahrung, aber insgesamt eine wie ich finde sehr schöne und gelungene Taufe. Außer, dass sie direkt im Haus stattfand und nicht in einer Kirche, war sie übrigens nicht wirklich anders als die Taufen, die ich bislang in Deutschland miterlebt habe.

Nach dem Gottesdienst, es war gerade mal 8 Uhr, gab es Essen. Und zwar richtiges Essen, also Fufu mit Njama Njama oder eine grosse Portion Reis für jeden. Mittlerweile habe ich mich allerdings daran gewöhnt, dass hier auch zum Frühstück schon richtig gegessen wird, denn aus Ermangelung an Alternativen, gibt es nun auch bei mir oft die Reste vom Abendessen zum Frühstück. Außerdem hatten Eli und ich Kuchen gebacken: Streuselkuchen, über den Ivoline sich besonders freute, weil es so etwas typisch Deutsches ist und Bananen-Schoko-Kuchen, der uns leider auseinandergefallen ist, weshalb wir etwas improvisieren mussten und es letztendlich eher ein Nachtisch war, der mit Löffel gegessen werden musste. Kuchen ist hier total unüblich, weshalb unsere auch die einzigen waren und jeder nur ein winziges Stück erhielt. Gegen 10 Uhr morgens war also die ganze Feier schon weitgehend beendet und die meisten Gäste machten sich schon wieder auf den Rückweg.

Wir besuchten noch Floras Schwägerin, die um die Ecke wohnte und bei der wir als drittes Frühstück an diesem Morgen Pap probieren konnten. Pap ist ein Maisbrei, der (soweit ich das verstanden habe) ähnlich wie Fufu nur mit mehr Wasser gekocht und süß gegessen wird - mein Fall war es leider definitiv nicht. Ausserdem konnten wir noch ein bisschen dabei mithelfen, den geernteten Mais zum Trocknen aufzuhängen – leider haben wir damit zu spät gelernt, wie man Mais richtig trocknet, denn bei unserem eigenen hatten wir schon die Körner abgeschabt und zum Trocknen ausgelegt, was leider nicht so gut funktioniert.

Als wir uns schließlich auf den Rückweg machen wollten, hielt uns ein Regenschauer auf und mehrere Schauer später (wir warteten auch dazwischen weiter ab, weil der Himmel noch voll von bedrohlichen Wolken war), fuhren wir schließlich mit der Sonne im Rücken und der festen Überzeugung, dass der Regen sich verzogen hatte, los. Doch natürlich begann es keine halbe Stunde später wieder zu regnen – und zwar diesmal so richtig. Beim nächsten Haus, an dem wir vorbeikamen, hielten wir an, um uns unterzustellen und während uns die Bewohner schon anboten, uns reinzusetzen, lehnten wir erst noch ab in der Annahme, dass wir nur einen kurzen Schauer abwarten müssten.

Drei Stunden später saßen wir in der Feuerküche, hatten heißen Tee und frisch gebratenen Mais in der Hand und kannten alle Familienmitglieder beim Namen. Da es langsam spät wurde, wenn wir nicht im Dunkeln fahren wollten, mussten wir nun doch dem Regen trotzen. Der Driver, Floras Schwager, fuhr allerdings wirklich gut und brachte uns trotz der Rutschpartie, die der Regen aus den Straßen gemacht hatte, sicher nach Hause. Und wen wird es überraschen: gerade waren wir Zuhause, da wurde das Prasseln des Regens weniger und weniger und verstummte schliesslich ganz.
Mein nächster Arbeitstag war spannend, denn am Vormittag wurde ich Zeuge eines richtigen Streits, der im Office geschlichtet wurde. Grob gesagt hat eine Frau die andere beschuldigt, Gerüchte über sie im Dorf zu verbreiten, wobei das Ganze sehr emotional wurde. Mittags feierte Eucharia, die im Social Welfare Office arbeitet, das sich im selben Gebäude befindet, ihren Geburtstag, wozu alle Mitarbeiter im Caritasgebäude (dort befinden sich die Offices) eingeladen waren. Es gab ein paar Reden (ich erwähnte bereits, dass die Leute hier gerne Reden halten, oder?) und natürlich auch etwas zu essen – wieder einmal eine richtige Portion Reis für jeden. Ich finde es interessant, dass es hier üblich ist, bei irgendwelchen Veranstaltungen immer richtig zu essen, bei denen es bei uns in Deutschland wahrscheinlich Kuchen oder nur ein paar Knabbereien gäbe.

Auch am Freitag gab es wieder spannende Fälle im Office und ich konnte zwar nicht wirklich etwas tun, aber habe durchs Zuhören wirklich viel lernen können. Am Nachmittag kamen Annika und Lisann zu Besuch und wir buken gemeinsam mit ihnen Kuchen und Zimtschnecken. Außerdem konnten wir uns mit ihnen ein bisschen zur aktuellen politischen Lage und unseren Erwartungen an das Wochenende austauschen.

An diesem Wochenende war nämlich der erste Oktober und damit der Tag, an dem der anglophone Teil Kameruns symbolisch seine Unabhängigkeit erklären wollte. Schon seit einiger Zeit streiken hier die Lehrer und Anwälte und es findet Ghost Town statt, weil die Menschen sich von der frankophonen Regierung unterdrückt fühlen. Da kein Dialog mit der Regierung zustande kommt, wird der Ruf nach einer Unabhängigkeit als "Ambazonia" immer lauter. Weitere Informationen zu den Hintergründen des Konflikts findet ihr in diesem (nicht mehr ganz aktuellen) Artikel: Kamerun - die anglophone Krise.

Nunja, wegen der geplanten Verkündigung der Unabhängigkeit wurden auf jeden Fall schon Proteste mit gewalttätigen Ausschreitungen erwartet, weshalb wir sogar schon im Laufe der Woche eine Mail von der deutschen Botschaft erhalten hatten mit dem Hinweis, genug essen einzukaufen und am Sonntag nicht das Haus zu verlassen. Netterweise wurden wir von den Sistern in Romajay eingeladen, das Wochenende bei ihnen im Kloster zu verbringen, um nicht allein in unserem Häuschen sein zu müssen, falls etwas passieren sollte.

Samstagnachmittag machten wir uns daher auf den Weg nach Romajay, im Gepäck Klamotten für ein paar Tage (wir gingen davon aus, wahrscheinlich bis Montag dort zu bleiben), und wunderten uns schon, dass es so ruhig auf der Straße war und wir kaum Menschen trafen. Hinterher erfuhren wir, dass es an Junction (also bei uns nur einmal den Hügel hinunter, wo wir auch entlang mussten, um nach Romajay zu kommen) vormittags schon zu einer Schießerei und dem Einsatz von Tränengas kam, wovon wir allerdings gar nichts mitbekommen hatten.

Die Sisters haben uns unglaublich herzlich aufgenommen und uns dazu eingeladen, ihren Alltag einfach mitzuleben. Sr. Miriam, die aus Österreich kommt, half uns immer, wenn wir irgendeine Frage hatten, und schrieb uns sogar einen Tagesplan, damit wir wussten, was am nächsten Tag bei ihnen anstehen würde.
Samstagabend schlafen zu gehen, war ein ganz komisches Gefühl, denn auf der einen Seite freute ich mich sehr auf die Zeit mit den Schwestern und war gespannt darauf, wie dieses Leben im Kloster sein würde, auf der anderen Seite waren die Umstände für unseren Aufenthalt ja nicht so schön und ich hoffte, dass der nächste Tag einigermaßen ruhig bleiben würde.

(Bilder zum Post reiche ich noch nach.)

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