Unruhen auf der Straße, Stille im Kloster

01. bis 09. Oktober 2017

Nachdem ich diesen Post zahllose Male begonnen und alles Geschriebene wieder gelöscht habe, weil ich doch nicht sicher war, über was ich berichten möchte und über was nicht, stelle ich ihm nun eine kurze Erklärung voran. Am 01. Oktober, dem Tag, an dem der anglophone Teil Kameruns symbolisch seine Unabhängigkeit als Ambazonia verkünden wollte, ist es hier zu heftigen Ausschreitungen gekommen, von denen ihr vielleicht sogar schon in den Medien gehört habt. Ich versuche, euch ehrlich zu beschreiben, wie ich diese Tage Anfang Oktober erlebt habe, und nichts zu dramatisieren; die Grenze zwischen Ehrlichkeit und Dramatisierung zu ziehen, ist allerdings auch recht schwierig. Lest diesen Post also bitte mit einem wachsamen und reflektierenden Blick, denn was ich beschreibe sind nur meine Eindrücke und Gefühle – sowohl Dramatisierungen als auch Verharmlosungen sind dabei möglich, behaltet das bitte im Hinterkopf. Zu den Geschehnissen vom 01. Oktober und den folgenden Tagen haben die Bischöfe der anglophonen Region eine Schrift verfasst, die ich an dieser Stelle gerne verlinken möchte. Sie ist sieben Seiten lang und auf Englisch, informiert aber sehr gut und zuverlässig über das, was passiert ist: Decleration of the Bishops.

Sonntagmorgen habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Schüsse in Wirklichkeit gehört. Sie waren nicht besonders nah, sondern auf den Straßen unten in der Stadt, aber dadurch, dass die Hügel den Schall noch verstärken, waren sie im Kloster deutlich zu vernehmen. Es war ein komisches Gefühl, mit Eli zusammen beim Frühstück zu sitzen und zu realisieren, in was für einem Paradies wir aufgewachsen sind, dass wir erst mit 18 Jahren erleben, wie sich Schüsse außerhalb von Filmen anhören. Während die Sisters ganz normal ihren Tagesablauf lebten, lebten wir mit. Feierten Gottesdienst, beteten, hatten eine Bibelstunde; im Kloster war alles ruhig und normal.

Blick auf das Kreuz vor dem Kloster und die Kirche von Romajay
Am Nachmittag, wir saßen draußen und sprachen mit den Sistern über das Tagesevangelium, kam auf einmal Barry angerannt. Wir waren zuerst verärgert, dass er hier auftauchte und nicht im Haus war, wie es allen für diesen Tag geraten wurde, aber was er uns erzählte war wirklich erschreckend. Anscheinend hatte am Samstag das Militär begonnen, vorsorglich alle jungen Männer zu verhaften, weshalb Barry wie auch viele seiner Freunde Samstagnachmittag von zu Hause weggegangen ist, sich über Nacht in den Hügeln versteckt hatte und nun endlich das Kloster erreichte, wo er hoffte Zuflucht zu finden. Natürlich nahmen die Sistern ihn ohne zu Zögern auf. Auch wenn mir am Anfang das Erzählte noch sehr zweifelhaft erschien, kann ich nun mit ziemlicher Gewissheit sagen, dass es stimmt, denn ich habe das nun nicht nur noch von vielen anderen gehört (auch einer unserer Nachbarn hatte sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag in den Hügeln versteckt), sondern auch zahlreiche Beschwerden mit Bildern im Office registrieren müssen von Leuten die ohne Grund verhaftet, verletzt oder deren Eigentum von Militär zerstört wurde. Natürlich muss ich an dieser Stelle aber anmerken, dass nicht alle Gewalt nur vom Militär ausging, sondern auch von Seiten der Verfechter der Unabhängigkeit eindeutig provoziert wurde.

Ab Sonntagnachmittag lebte also auch Barry mit bei den Sistern. Am Montag wirkte die Stadt wie ausgestorben. Man hörte keine Autos und keine Motorräder von der Straße, keine Musik aus den Häusern, nicht einmal die Vögel sangen mehr. Es war komisch, in so einer unruhigen Zeit an so einem ruhigen Ort zu sein und ganz unabhängig von den Ereignissen eine einzigartige Erfahrung zu machen, da wir mit den Sistern zusammenlebten. Aufgrund der Eskalationen sind wir natürlich noch nicht am Montag wieder nach Hause gegangen, sondern die ganze Woche dort geblieben. Ab Mittwoch wurde es auch wieder wirklich ruhiger; wir hörten keine Schüsse mehr und es schien so, dass Menschen sich wieder auf die Straße wagten. Da am nächsten Wochenende jedoch erneute Proteste erwartet wurden, blieben wir noch ein wenig länger im Kloster.

Daher nun ein bisschen was zu unserem Leben dort. Dankenswerterweise schrieb Sr. Miriam, die österreichische Schwester, uns jeden Abend einen Tagesplan, auf dem sie sogar die Bibelstellen für den Gottesdienst am folgenden Tag vermerkte. So ein Tagesplan sah dann beispielsweise wie folgt aus:


Während Eli manchmal schon bei der stillen Anbetung dabei war, bin ich immer erst zur Messe aufgestanden (bzw. Laut Eli konnte man sich bei der Messe darauf verlassen, dass ich kurz vor der Lesung in die Kapelle gehuscht kam), denn abgesehen davon, dass mir 5 Uhr einfach zu früh war, ist eine Stunde lang stille Anbetung auch nicht so mein Ding. Auch nach der Messe bin ich meist schon wieder gegangen, weil Laudes auf Französisch war. Bis auf die stille Anbetung am Abend habe ich aber auch immer mitgebetet. Ansonsten haben die Sisters am Vormittag immer eine Bibelrunde, an der wir teilgenommen haben, und Philosophiekurs. Ein paar Mal hat Sr. Miriam extra für uns einen Philosophiekurs vorbereitet, der aus einem französischen Podcast bestand, den sie uns übersetzt hat. In diesen Tagen habe ich daher viel über Wahrheit, Freundschaft und natürlich Gott gelernt. Auch wenn ich mit der Ansicht der Sistern und des Podcasts nicht immer übereinstimmen konnte, war es wirklich spannend, sich damit zu beschäftigen.
Die Kapelle in Romajay

Am Nachmittag haben die Sisters gearbeitet und auch da haben wir sie ein wenig unterstützt. Da es in Kamerun eigentlich nicht üblich ist, Kerzen zu bemalen, das Kloster aber so international ist, haben sie irgendwann angefangen, Osterkerzen zu gestalten. Diese kamen bei den Pfarreien so gut an, dass sie nun auch für Kirchen über das Bistum Kumbo hinaus Osterkerzen machen und daher das ganze Jahr über damit beschäftigt sind. Wir haben nicht nur fleißig Kerzen bemalt, sondern ich habe auch gelernt, wie die Kerzen gegossen werden.

volle Konzentration beim Kerzen bemalen (übrigens sieht man einen kleinen Ausschnitt meines neuen Rocks ;))
An einem Nachmittag stand außerdem Sport auf unserem Tagesplan und Eli und ich fragten uns schon als wir das lasen, ob die Sisters irgendetwas für uns organisiert hatten oder ob sie selbst Sport machen wuerden. Schließlich standen wir um 16 Uhr auf einem kleinen Basketballfeld in der Nähe des Klosters und spielten zusammen Basketball – falls ihr euch das nun fragen solltet: Ja, die Sisters trugen alle ihre Gewänder einschließlich Rosenkranz, der an der Seite baumelte und ja, sie waren mega gut. Es hat auf jeden Fall sehr viel Spaß gemacht und wir haben sie schon wissen lassen, dass sie uns jeder Zeit bescheid sagen können, wenn sie mal wieder Verstärkung beim Spielen gebrauchen können.
Ausserdem habe ich zum ersten Mal den Rosenkranz gebetet – und zwar das nun so oft, dass ich ihn auf englisch besser kann als auf deutsch – und wir haben gemeinsam mit den Sistern ein bisschen Musik gemacht, da Eli Lieder aus Taizé dabeihatte.

Das zweite Oktoberwochenende blieb glücklicherweise doch ruhig, sodass wir uns nach zehn Tagen im Kloster am zweiten Montag im Oktober wieder auf den Weg nach Hause machen konnten.

You Might Also Like

0 Kommentare